Interview WirtschaftsWoche vom 22. Oktober 2018

„Ich kann nur jedem empfehlen, in Teilzeit zu arbeiten“

Wirtschaftswoche
Bild: Getty Images Wirtschaftswoche 22. Oktober 2018

Warum lohnt sich Teilzeitarbeit? Welche Fallstricke lauern bei der Stundenreduzierung? Und was bedeutet Teilzeit für die eigene Karriere? Das erklärt der Fernsehredakteur und Buchautor Axel Mengewein im Interview.

WirtschaftsWoche (WiWo): Herr Mengewein, halten manche Menschen Sie für faul?
Mengewein: Faul nicht unbedingt. Aber die Meinungen über Teilzeit gehen schon sehr weit auseinander. Wer selbst Stunden reduziert, schätzt die Freiheiten. Wer in der Vollzeit-Tretmühle steckt, steht dem kritischer gegenüber.

Wiwo: Der Untertitel Ihres neuen Buches „Halbe Arbeit – Ganzes Leben“ lautet: Arbeite so wenig, wie du willst. Da könnte man schon auf die Idee kommen, Sie machen sich einen schönen Lenz.
Mengewein: Ich mache in der gewonnenen Zeit ja andere Dinge. Zum Beispiel habe ich dieses Buch geschrieben. Das bedeutete viel Arbeit. Ich bin Taekwondo-Meister geworden, was viel Fleiß erfordert. Sehen Sie, ich bin nicht dem Teilzeit-Müßiggang verfallen, den man ja aus dem Urlaub kennt und der nachweislich träge macht. Ich kann nur jedem empfehlen, in Teilzeit zu arbeiten. Dabei entdecken Sie ungeahnte Talente. Denn wenn Sie Vollzeit arbeiten, haben Sie gar keine Zeit zu hinterfragen, was Ihnen noch Spaß machen könnte.

Wiwo: Wie hat sich ihr Leben verändert, seitdem Sie in Teilzeit arbeiten?
Mengewein: Mit der Liebe läuft es besser. Ich habe über zehn Jahre viel gearbeitet und war immer fürs Unternehmen da – auch am Wochenende, an Feiertagen und in Randzeiten. Jetzt habe ich eine tolle Partnerschaft, die ich auch pflegen kann. Außerdem bin ich deutlich fitter, als ich mir das jemals erträumt habe. Ich laufe sogar Marathon. Diese Art zu leben, macht mich zufriedener.

Wiwo: Das hört sich erst mal gut an. Aber es war sicherlich auch nicht immer leicht. Wie hat etwa Ihr berufliches Umfeld reagiert, als Sie Teilzeit anmeldeten?
Mengewein: Es war ungewöhnlich, dass ein Mann freiwillig Stunden reduziert. Meine erste Teilzeit habe ich beantragt, weil ich an der Uni Dortmund meine Promotion in Journalistik machen wollte. Das fanden alle ganz toll und irgendwie spannend. Als ich das zweite Mal reduziert habe, habe ich das gemacht, weil es meiner Mutter nicht gut ging und ich mehr Zeit mit ihr verbringen wollte. Da habe ich angefangen drei Wochen zu arbeiten und dann eine Woche frei zu machen. Das kam dann schon weniger gut an.

Wiwo: Warum?
Mengewein: Ich war damals leitender Redakteur. Und wie das nun mal so ist, reduziert man bei einer 80-Prozent-Stelle ja nicht nur 20 Prozent – von 100 auf 80 Prozent. Sondern eher um 40 Prozent, weil man vorher 120 Prozent gearbeitet hat. Vollzeit plus Überstunden. Das müssen andere dann auffangen.

Wiwo: Was wäre Ihrer Meinung nach eine Lösung für dieses Problem?
Mengewein: Führungstandems. Ich verstehe wirklich nicht, warum sich immer noch so selten Menschen eine Führungsposition teilen. Und die neue Brückenteilzeit, die von der großen Koalition ab 2019 eingeführt wird, ist ein weiterer wichtiger Schritt. Dabei können die Mitarbeiter bis zu fünf Jahre in Teilzeit gehen und haben danach ein Anrecht, in Vollzeit zurückzukehren. Das reduziert die Angst vor der Teilzeitfalle und führt zu einer größeren gesellschaftlichen Akzeptanz.

Wiwo: Müssen Sie sich heute noch rechtfertigen für Ihren Teilzeitjob?
Mengewein: Es wird nach wie vor hinterfragt. Kommst du mit dem Geld klar? Was ist mit deiner Rente? Hast du überhaupt noch Chancen auf eine Beförderung? Arbeitest du je wieder Vollzeit? Solchen kritischen Fragen muss ich mich schon stellen.

Wiwo: Das sind ja auch berechtigte Fragen. Welche Abstriche müssen Sie denn machen?
Mengewein: Finanziell sind die Einbußen tatsächlich deutlich weniger, als man so denkt. Das Brutto schrumpft zwar deutlich, aber netto macht es meist gar nicht so viel aus. Wenn man dann ein bisschen auf die Kosten achtet, passt das immer noch sehr gut. Gerade bei den vollzeitnahen Teilzeitmodellen, bei denen man weniger als 20 Prozent reduziert.

Wiwo: Wie kann das sein?
Mengewein: Erst mal zahlen Sie natürlich weniger Steuern. Und dann nehmen Sie zum Beispiel einen Pendler, der jeden Tag 150 Kilometer fährt. Wenn er die Strecke nur noch viermal pro Woche fährt, spart er deutlich. Weil er weniger Sprit verbraucht und die Verschleißkosten am Auto niedriger sind.

Wiwo: Viele Leute haben auch Angst vor dem Karriereknick. Auch alles nur halb so schlimm?
Mengewein: Das kommt stark darauf an, wo man arbeitet. Für mein Buch habe ich tolle Beispiele gefunden, in denen das nicht der Fall war. Bei SAP etwa gibt es ein extra Modell, in dem Leute in Teilzeit Führungspositionen übernehmen können. Insgesamt kann man sagen, je hierarchischer und konventioneller ein Unternehmen organisiert ist, um so schwieriger ist es trotz Teilzeit aufzusteigen.

Wiwo: Wie hat sich bei Ihnen die Teilzeit auf Ihre Karriere ausgewirkt?
Mengewein: Als ich zwischendurch in Vollzeit zurückgekehrt bin, habe ich schon gemerkt: Jetzt spielst du wieder in der ersten Liga. Ich bekam wieder Fortbildungen genehmigt, wurde zu mehr Strategiemeetings eingeladen und bekam wieder mehr Verantwortung. Im Regelfall ist es immer noch schwieriger in Teilzeit Karriere zu machen als in Vollzeit.

Wiwo: Warum ist das immer noch so?
Mengewein: Das ist ganz menschlich. Jeder Chef hat Mitarbeiter um sich herum, die permanent im Unternehmen sind. Die sind natürlich sichtbarer und zu jeder Zeit greifbar. Das ist für einen selbst nicht schön, aber dann müssen Sie Prioritäten setzen. Will ich mehr Zeit mit meinen Kindern verbringen oder Karriere machen? Will ich was von der Welt sehen oder im Job weiter aufsteigen? Mir waren meine Reisen sehr wichtig. Dafür habe ich Abstriche bei der Karriere in Kauf genommen.

Wiwo: Haben Sie diese Entscheidung je bereut?
Mengewein: Ja, aber nicht der Karriere wegen.

Wiwo: Sondern?
Mengewein: Als ich für die Promotion, die ich im Übrigen niemals abgeschlossen habe, in Teilzeit gegangen bin, bin ich dem Teilzeittrojaner aufgesessen.

Wiwo: Dem bitte was?
Mengewein: Ich hatte nicht richtig abgesprochen, wie wenig ich im Büro sein werde. Das bedeutete, ich musste eigentlich die gleiche Arbeit in weniger Zeit und mit weniger Gehalt erledigen. Das war schlecht organisiert und kommuniziert. Und hat mich sehr viel Kraft gekostet.

Wiwo: Was sollte man unbedingt beachten, damit das nicht passiert?
Mengewein: Ausführliches Reden mit allen Beteiligten ist zwingend erforderlich und anschließend die vereinbarten Punkte schriftlich festhalten. Man muss mit seinen Vorgesetzten über die Reduzierung seiner Verantwortungsbereiche sprechen, aber auch mit seinen Teamkollegen die neue Tätigkeitsverteilung klären. Ebenso legt man mit der Personalabteilung die verringerten Arbeitszeiten und die Gesamtlaufzeit der Teilzeitphase fest. Mit Geschäftspartnern, Kunden, Auftraggebern, Lieferanten, Vertragspartner und betroffenen Dienstleistern sollten Sie die künftigen Abwesenheiten planen und Vertretungen kommunizieren.

Wiwo: Sie listen in Ihrem Buch 19 verschiedene Teilzeit-Modelle auf. Was sind die gängigsten?
Mengewein: Die Viertagewoche mit Montag oder Freitag frei. Viele Leute reduzieren auch jeden Tag um ein paar Stunden. Ich empfehle immer gerne das Modell Teilzeit-Invest. Soll heißen, Sie reduzieren um fünf bis zehn Prozent, arbeiten normal weiter und nehmen die freie Zeit dann am Stück, zum Beispiel in den Schulferien.

Wiwo: Wie finde ich raus, welches Modell am besten zu mir passt?
Mengewein: Stellen Sie sich ein paar essentielle Fragen:

Möchte ich Teilzeit nur mal eine Zeit lang ausprobieren, oder dauerhaft Reduzieren?
Will ich jeden Tag früher gehen oder hätte ich gerne etwas mehr Urlaub?
Möchte ich einige Monate am Stück aus dem Job raus oder früher in Rente gehen?
Kann ich durch freie Teilzeittage Geld und Zeit beim Pendeln sparen?
Will ich mich parallel zum Job weiterbilden oder mir zusätzliche Qualifikationen aneignen?
Wie viel Netto-Reduktion bei Teilzeit sind finanziell für mich tragbar? Ist es möglich meine Vollzeitstelle auf zwei Köpfe zu verteilen?

Wiwo: Würden Sie uneingeschränkt jedem Menschen empfehlen, Stunden zu reduzieren?
Mengewein: Definitiv. Ab 2019 können Sie ja risikolos einen Testballon starten. Gehen Sie zu Ihrem Chef und fragen nach einer Reduzierung um fünf Prozent für ein Jahr. Arbeiten Sie normal weiter und genießen Sie dann rund zehn zusätzliche freie Tage. Sehen Sie, was das mit Ihnen macht. Wenn man dann fast 40 Tage im Jahr frei hat, dann ist das schon eine Ansage und bedeutet ein Stück mehr Freiheit. Der eine gründet halt eine Band und trifft sich um 17 Uhr mit Freunden im Biergarten und der andere versucht seinem Chef im Job zu gefallen, in der Hoffnung irgendwann befördert zu werden.

 

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Kristin Schmidt WirtschaftsWoche

Das Interview führte: Kristin Schmidt
Redakteurin Erfolg/Kultur & Stil

Das Interview ist auch hier auf der Wirtschaftswoche nach zu lesen.