ZEIT-Interview vom 7. Februar 2019

»Teilzeit für alle«

ZEIT Interview
ZEIT-Interview, 7. Februar 2019

»Als Axel Mengewein in Teilzeit wechselte, verkaufte er auf eBay DVDs und verzichtete auf Weihnachtsgeschenke. Er sagt: Es lohnte sich.

Die Zahl der Teilzeitbeschäftigten in Deutschland wächst: Innerhalb der letzten 20 Jahre von 8,3 Millionen auf 15,3 Millionen, hieß es in einem Bericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung von 2017. Zudem sollen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach einer befristeten Teilzeit in Vollzeit zurückkehren können, wie es das Brückenteilzeitgesetz ab Januar 2019 vorsieht. Axel Mengewein, studierter Wirtschaftsinformatiker und ZDF-Redakteur, hat sich gegen Vollzeitarbeit entschieden – um zu promovieren, seine Mutter zu pflegen und sich um seine Beziehung zu kümmern. In seinem Buch „Halbe Arbeit, ganzes Leben“ stellt er 19 Teilzeitmodelle vor: vom Jobtandem, bei dem sich mehrere Personen eine Stelle teilen, über das Sabbatical bis zur Vier-Tage-Pendlerwoche.

ZEIT ONLINE: Hatten Sie Angst, Ihrem Chef zu sagen, dass Sie freitags nicht mehr arbeiten wollen?

Axel Mengewein: Klar, ich war ziemlich nervös. Zu dem Zeitpunkt war ich leitender Angestellter in einer Redaktion und habe ein Team geführt. Nach ein paar Jahren Vollzeit, Überstunden und ständiger Erreichbarkeit war ich einfach müde und wollte etwas verändern. Da kam ich auf die Idee, an der Uni meinen Doktor nachzuholen – in Teilzeit. Mein Chef hat mich beglückwünscht, weil das auch sein großer Traum war. Das war ein extrem befreiender Moment, auch wenn es am Ende mit der Promotion nichts geworden ist.

ZEIT ONLINE: Wie hat Ihr Umfeld reagiert?«

Mengewein: Natürlich waren die ersten Reaktionen: „Das würde ich auch gern leben.“ Dann kamen ganz viele Abers: aber die Rente, die Karriere, das Geld. Was sollen die Freundin und die Familie denken? Für mich war es aber die beste Lebensentscheidung. In meiner Teilzeitphase mit 50 Prozent – zwei Wochen arbeiten, dann zwei Wochen frei – war ich mit meinem 16-Kilo-Rucksack in zwei Jahren auf allen Kontinenten, außer in der Antarktis.

ZEIT ONLINE: Waren Ihre Kolleginnen und Kollegen neidisch, weil Sie so viel unterwegs waren?

Mengewein: Ich kann mir vorstellen, dass hintenrum über mich getuschelt wurde. Zu mir persönlich hat aber niemand etwas gesagt. Am Anfang meiner Teilzeit habe ich schöne Sonnenuntergänge in Australien auf allen sozialen Medien gepostet. Das würde ich heute nicht mehr machen, damit macht man sich keine Freunde. Viele Menschen sind noch nicht auf die Teilzeitidee gekommen und sitzen im Büro fest. Da ist es besser, seine Erlebnisse in privaten Gruppen zu teilen.

„Fernab der Arbeit etwas Schönes entdecken“

ZEIT ONLINE: Um Ihre Fixkosten anzupassen, haben Sie auf eBay DVDs verkauft, alte Jeanshosen flicken lassen und auf Weihnachtsgeschenke verzichtet. Hat die Umstellung wehgetan?

Mengewein: Alles, was man besitzt, besitzt einen ja auch. Für mich war es befreiend, mich von materiellen Dingen zu lösen und dafür am Strand auf Bali zu liegen. Man muss herausfinden, was neben der Arbeit wirklich wichtig ist. Will ich lieber Zeit am Meer verbringen? Oder eine neue Sportart anfangen? Das muss jeder für sich entscheiden. Klar ist: Es gibt die Chance, fernab der Arbeit etwas Schönes zu entdecken. Das geht nur, wenn man sich erlaubt, anders zu denken. 

ZEIT ONLINE: Klingt, als hätte sich mehr verändert als nur Ihr Arbeitsverhältnis.

Mengewein: Wer viel freie Zeit hat, kann viel nachdenken. Ich habe mich damals entschieden, mich von meiner Partnerin zu trennen, und bin aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen. Ich denke, unsere Beziehung ist mitunter auch daran gescheitert, dass wir zuvor zu wenig Zeit füreinander hatten. In leitender Tätigkeit macht man Überstunden und geht abends mit Kollegen auf ein Bier. Oft führt es dazu, dass man sich zu wenig um die Beziehung kümmert – aber Liebe und Partnerschaft brauchen Zeit. Weil ich momentan drei Wochen am Stück arbeite und dann eine Woche frei habe – zusätzlich zu rund 25 Tagen Urlaub im Jahr –, kann ich mit meiner neuen Partnerin jetzt eine Lebensphase teilen, in der ich entspannter bin als in der Zeit, in der ich sehr auf meine Karriere bedacht war.

ZEIT ONLINE: Stecken Sie jetzt mehr Energie in die Planung Ihres Lebens als früher? 

Mengewein: Mehr Zeit macht das Planen einfacher. Bei einer Viertagewoche kann ich an meinem freien Tag zum Zahnarzt oder ohne lange Warteschlange im Supermarkt einkaufen und muss mich nicht abhetzen. Arbeitet jemand mehrere Wochen hintereinander und hat dann frei, kann er fernab der Hauptsaison Urlaub machen und bekommt den Flug nach Rio viel günstiger als in den Sommerferien.

ZEIT ONLINE: Über Teilzeitarbeit können aber eher diejenigen nachdenken, die besser verdienen, oder nicht? 

Mengewein: Teilzeit ist für alle, man muss nur das richtige Modell für die eigenen Bedürfnisse finden. Ein besseres Leben fängt ja schon an, wenn man nur fünf Prozent weniger arbeitet. Da reduziert sich die Arbeitszeit nicht wie erwartet von 100 auf 95 Prozent, sondern von 120 auf 95 – weil man auch die Überstunden loswird. Die Personalabteilung und man selbst achtet dann mehr auf die reduzierten Wochenarbeitsstunden. Dadurch hat man schon viel mehr Freiheit. Eltern, die mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen, sollten 75 Prozent arbeiten. Dann haben sie fast genauso viel frei, wie ihre Kinder Schulferien haben. Und für Pendler sind 90 Prozent lukrativ: Bündelt man die Freistunden zu Tagen und Wochen, kann es sogar passieren, dass man am Ende des Monats mehr Geld übrig hat als vorher.

ZEIT ONLINE: Wie soll das gehen? 

Mengewein: Wenn Sie jeden Tag 100 Kilometer mit dem Auto zur Arbeit fahren, brauchen Sie circa eine Stunde hin, eine zurück, und auch der Verschleiß am Fahrzeug macht sich bemerkbar. Wenn Sie weniger fahren, haben Sie am Ende des Monats mehr im Geldbeutel – und mehr Zeit, der eigentliche Gewinn. Homeoffice entspannt Pendler zusätzlich enorm.

„Auch Berufseinsteiger profitieren“

ZEIT ONLINE: Was raten Sie Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen, die durch Teilzeit die Armutsgrenze unterschreiten würden?

Mengewein: Teilzeit hat natürlich Grenzen. Aber unser Arbeitsmarkt verändert sich rasant und stehen zu bleiben kann sich heutzutage kaum jemand leisten. Das Stichwort lautet lebenslanges Lernen – sich also immer weiterentwickeln und qualifizieren, zusätzliches Wissen und neue Fähigkeiten aneignen, um sich aus einer prekären Situation mit vielleicht einem besseren Job oder einem ausgebauten Talent zu befreien. Es gibt beispielsweise geförderte Ausbildungsstellen in Teilzeit und Bildungsurlaub in vielen Bundesländern. Auch das Angebot an Onlinekursen, Volkshochschulen und Fernuniversitäten ist riesig. Viele Firmen unterstützen ihre Mitarbeiter mit Fortbildungen.

ZEIT ONLINE: Aber noch machen ja nicht alle Chefinnen und Chefs bei Teilzeit mit. 

Mengewein: Der Impuls muss bisher hauptsächlich von Arbeitnehmern kommen, das stimmt. Und den Chefarzt, Chefredakteur oder Chefkoch gibt es bisher kaum in Teilzeit, trotz der funktionierenden Tandemjobs. Die Frage ist eher, wieso das so ist. Denn Teilzeitarbeiter sind produktiver, besser organisiert und leben gesünder. Das liegt daran, dass sie oft ausschlafen können, mehr auf sich achten und sich deswegen seltener krankmelden. Gerade junge Menschen zwischen 20 und 30 wollen oft nicht nur Geld verdienen, sondern sich verwirklichen. Sie können bei den Spielregeln im Arbeitsverhältnis mitbestimmen.

ZEIT ONLINE: Aber müssen nicht ausgerechnet Berufseinsteigerinnen und -einsteiger ranklotzen, um sich bei der Arbeit zu behaupten? Wie soll das mit Teilzeit gehen? 

Mengewein: Wir haben fast Vollbeschäftigung und einen massiven Fachkräftemangel. Chefs können es sich nicht mehr leisten, qualifizierten Mitarbeitern flexible Arbeitszeiten auszuschlagen, weil diese sonst gehen. Von Teilzeitarbeit profitieren auch die Berufseinsteiger: Wenn ich weniger Stunden arbeite, gebe ich 20 oder 50 Prozent an eine junge Kollegin ab, die damit die Chance bekommt, in meine Firma zu kommen. Mutterschutzvertretung und Elternteilzeit sind hier bewährte Beispiele.

ZEIT ONLINE: Also ist Teilzeit für die Gesamtgesellschaft besser?

Mengewein: Ich sage ja nicht, dass wir mit dem Arbeiten aufhören sollen. Aber ich fordere, dass Menschen Zeit haben, ihre Talente zu erkennen und zu entwickeln. Das Ziel ist, zu wissen, was man wirklich gerne macht und es deshalb weniger als Arbeit empfindet, sodass man dadurch besser, erfolgreicher und glücklicher wird. Teilzeit kann helfen, das zu finden.

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Juli Katz

Interview: Juli Katz